Ausblick, Ideen, Forderungen bei den Bautagen 2022: Praktiker:innen kommentierten klimafittes Sanieren im Bestand
Bisher war thermische Gebäudesanierung ein gesellschaftliches Ziel zur Energie- und CO2-Einsparung. Heute setzt die Energiekrise mit explodierenden Heizkosten die Menschen unter Druck. Ist die bisherige Sanierungsoffensive ausreichend? Diese Frage stand im Fokus eines Workshops bei den Bautagen in Loipersdorf am 19. Oktober 2022. Dazu eingeladen haben die beiden Arbeitsgemeinschaften Qualitätsgruppe Wärmedämmsysteme und BAU!MASSIV!. Ihr gemeinsames Anliegen ist wahre Energieeffizienz. Erreicht kann diese nur im Austausch werden. Viele Praktiker:innen folgten der Gesprächseinladung, teilten ihre Erfahrungen und stellten Forderungen.
Die Sanierungsoffensive 2021/2022 neigt sich ihrem Ende. Die Laufzeit über zwei Jahre sowie die Budgethöhe von 800 Millionen Euro wurden sehr begrüßt: ein Zeichen für Umweltschutz, CO2-Reduktion für die Klimaneutralität 2040 und mehr Planungssicherheit. Dennoch gibt es Optimierungsbedarf bei der Förderinitiative der Regierung. Daher lud die ARGE Qualitätsgruppe Wärmedämmsysteme (QG) und BAU!MASSIV! im Rahmen der Bautage 2022 in Loipersdorf zu einem Workshop. Über vierzig Teilnehmer:innen gingen der Einladung nach und teilten ihre Erfahrungen zum Thema „Klimafittes Sanieren im Bestand: Was könnte die Sanierungsoffensive noch erreichen?“. Dabei wurden keine Wünsche formuliert, sondern klare Forderungen: vereinfachen, erhöhen, spezifizieren, bewerben.
- Förderanträge vereinfachen: Keine Raketenwissenschaft, so ein Kommentar aus dem Publikum. Die Höhe der Förderungen soll unkompliziert ablesbar sein und damit Entscheidungen erleichtern. Sanierungsmaßnahmen sollen auch nicht miteinander konkurrieren. Eine österreichweite Bündelung aller Fördermöglichkeiten würde zusätzlich vereinfachen.
- One-Stop-Shop: Eine Anlaufstelle kann überforderte Bauherren und Baufrauen bei der komplexen Gebäudesanierung unterstützen. Ihr Service umfasst z. B. Beratung zu Fördermöglichkeiten, zur Projektplanung und technischen Abwicklung. Als Beispiel wurde die Wiener Hauskunft genannt.
- Anreize erhöhen, Leistbarkeit gewährleisten: Eine Studie des SORA Instituts zeigt hohes ökologisches Bewusstsein bei Immobilien-BesitzerInnen. Sie zeigt auch, dass die Investitionsbereitschaft bei einer Fördersumme ab 20.000 Euro liegt. Dafür müssten also die richtigen Rahmenbedingungen und passende Anreize geschaffen werden. Erst dann wird die Sanierungsrate steigen, so wie im Regierungsprogramm vorgesehen.
- Alternative Finanzierungsmodelle: Warum nicht neue, alternative Finanzierungswege diskutieren/gehen? Z. B. Green Bonds schlug ein Workshop-Teilnehmer vor – festverzinsliche Finanzinstrumente zum Realisieren von Projekten mit positiven Umwelt- und/oder Klimavorteilen.
- Gebäudetyp spezifizieren: Jedes Segment wäre lösbar mit wenigen Stellschrauben, so ein Praktiker; Es mangle am politischen Willen, Lösungsorientierung und Kommunikation. Denn nicht jeder Gebäudetyp, nicht jedes Gebäudealter ist gleichermaßen betroffen oder nicht gleich lösbar.
- Energieausweis sinnvoll einsetzen: Das Warmmieten-Modell könnte das Mieter-Vermieter-Dilemma lösen. Dabei hätte der Vermieter einen wirtschaftlichen Anreiz zur effektiven Senkung der Heizkosten.
- Abschreibung: Private Vermieter müssten mehr zum Modell der Abschreibung informiert werden. Mögliche weitere steuerliche Maßnahmen analysierte das IIBW – Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen.
- Werbekampagne: Thermische Gebäudesanierung gehört beworben, um ihre mannigfache Wirkung der Bevölkerung zu erklären. Die Kampagne „Raus aus Öl und Gas“ alleine war nicht zielführend.
Hintergrund: Niedrige Sanierungsrate, hoher CO2-Austoß
Eine thermische Gebäudesanierung wirkt schnell und genau. Sie kann als Versicherung betrachtet werden in der aktuell unsicheren geopolitischen Konstellation. Denn ¼ des Energiebedarfs in Österreich beansprucht der Wohnbereich. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass durch eine ganzheitliche thermische Sanierung eine Energieeinsparung von über 70 Prozent möglich ist. Andererseits erfordert der Green Deal der EU noch weitere und schärfere Maßnahmen zur CO2-Reduktion. Denn circa ein Drittel der Treibhausgas-Emissionen entfällt auf den Gebäudesektor. 50 Prozent des Gebäudebestands gilt als thermisch unzureichend. Zu Recht sind im aktuellen Regierungsprogramm bereits Maßnahmen im Bereich der Sanierung festgehalten. Die Sanierungsrate ist derzeit zu niedrig.
Zitate (alphabethische Reihenfolge)
Reinhold Lindner, Sprecher von BAU!MASSIV!
Unabdingbar ist die Einrichtung einer österreichweiten Anlaufstelle (One-Stop-Shop) im Bereich der technischen und finanziellen Beratung, Durchführung und Abwicklung von Sanierungsprojekten.
Andreas Greml, Verein Komfortlüftung.at
Um die Klimaziele 2040/2050 zu erreichen benötigt es, neben der raschen Umstellung auf erneuerbare Energieträger, vor allem gut gedämmte Gebäude mit einer Komfortlüftung, die der EU-Forderung nach nearly Zero-Energy Buildings (nZEB) gerecht werden. Leider wird nZEB in Österreich derzeit nicht einmal bei Neubauten nach der OIB Richtlinie 6 wirklich erreicht. Daher sind dringend Maßnahmen zur Erhöhung der Sanierungen in Anzahl und Qualität notwendig, bei der neben einer hochwertigen Dämmung auch die Lüftung mit Wärmerückgewinnung umgesetzt wird (zumindest Einzelraumlüfter).Insbesondere bei Schulen und Kindergärten sollte es keinen Neubau bzw. keine Sanierung ohne Lüftung mit Wärmerückgewinnung geben.
Clemens Hecht, Sprecher ARGE QG WDS
Energie, die nicht erzeugt, nicht genutzt bzw. nicht verschwendet wird, ist die Beste! Eine thermische Sanierung des Gebäudes ist damit Teil der Lösung. Das heißt andererseits auch, dass wir nur miteinander die Ziele erreichen, Energie- und CO2-Einsparung, damit auch Reduktion der Heizkosten und mehr Unabhängigkeit gegenüber Energieträgern. Wichtig ist, dass vorhandene Möglichkeiten genutzt werden, ganzheitlich betrachtet werden und alle an einem Strang ziehen.
Hans Jörg Ulreich, Geschäftsführer Ulreich Bauträger
Die Sanierungsoffensive müsste endlich in die Tat umgesetzt werden. Derzeit ist sie nicht mehr als ein Slogan auf Broschürenpapier. Wenn nicht endlich die rechtlichen Rahmenbedingungen und Anreize für eine echte Offensive umgesetzt werden, schaut es düster aus und die Satellitenstädte wachsen auf wertvoller grüner Wiese in den Himmel!
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